Der Schriftsteller und Literaturkritiker Michael Maar ist ein präziser Leser. Und mit dem in kurzer Zeit zum Bestseller avancierten Band ‘Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur’ liefert er eine sehr eingängige, auch für Laien gut lesbare Auseinandersetzung mit den Lichtgestalten der deutschsprachigen Literatur.
Es geht um den guten Stil im Roman (nur am Rande wird auch die Lyrik gestreift), wobei sich Maar hauptsächlich auf die großen Namen stürzt: Thomas Mann wird ausführlich zitiert, natürlich Kafka, Heimito von Doderer darf nicht fehlen, auch nicht Robert Musil, Goethe, Joseph Roth.
Frauen? Ja, auch Frauen treten auf, allerdings hauptsächlich in kleineren Nebenrollen: Marie von Ebner-Eschenbach, Christine Lavant, Brigitte Kronauer. Auch Hildegard Knef findet sich unter den Auserwählten. Hildegard Knef? Ja, denn für Knefs ‘Der geschenkte Gaul’ würde Michael Maar jederzeit Christa Wolfs ‘Kassandra’ opfern.
Die 650 Seiten sind in 6 Abschnitte gegliedert, in denen Maar sich zunächst mit den Voraussetzungen und Ingredienzen guten Stils auseinandersetzt. Auch ein kurzer Abriss zu Satzzeichen, Sprachrhythmus und Wortarten darf nicht fehlen. Den weitaus größten Teil des Buches umspannt der ‘Die Bibliothek’ genannte Abschnitt, in dem in ausufernder Fülle Textbeispiele aus den Werken vieler Autorinnen und Autoren den guten bzw. schlechten Stil belegen sollen. Ein wilder Ritt durch die Jahrhunderte des Schreibens. Maar scheut dabei nicht vor mitunter auch recht groben Abkanzelungen zurück, nähert sich aber meist behutsam an. Und dabei gelingen oft wirklich großartige Charakterisierungen des Schreibstils einzelner Autoren:
Über Adalbert Stifter:
‘Als Stilist kommt Stifter einem manchmal wie jemand vor, der mit zwei linken Händen schnitzt. Es gibt viele großartige Sätze bei ihm, aber dann diese Umständlichkeit!’
Zu den absoluten Helden Michael Maars gehören Thomas Mann und Franz Kafka. Ihnen widmet er überaus lesenswerte, nahezu berührende Seiten, die das Ausnahmetalent und die Unterschiede der beiden Autoren vortrefflich beleuchten.
Und dann sind da noch die Schriftsteller, die Maar eher am Rand erwähnt, als zwielichtige Scharlatane im Kanon großer Literatur. Arno Schmidt gehört zu jenen Außenseitern, ebenso Thomas Bernhard (von Maar als ‘Monotonie-Maschine’ und ‚Berserker‘ tituliert). Aber auch das gehört zu diesem Buch: es nimmt Stellung, die geneigte Leserin, der geneigte Leser darf aber durchaus anderer Meinung sein.
Die ‘Literaturgeschichte in ausgesuchten Beispielen’, als die man das Buch lesen kann, endet mit einem Kürzestausflug in die Welt der Lyrik und einem doch etwas aufgepfropft wirkenden letzten Abschnitt ‘Das Pikante und der Spaß der Welt’. Hier dürfen sich ausgewählte Literatinnen und Literaten an der Beschreibung von Sexszenen messen und vergleichen lassen. Von der Auslassung des eigentlichen Geschlechtsaktes durch Gedankenstriche bis hin zu Arno Schmidts ‘Seelandschaft mit Pocahontas’:
Wir ritten sausend aufeinander davon: durch haarige Märchenwälder, Finger grasten, Arme natterten, Hände flogen rote Schnapphähne …
Fazit: ein Buch für alle Leserinnen und Leser, ein Buch, bei denen man den Großen der Literatur ein wenig über die Schulter schauen kann, ein Buch, bei dem man auch mal herzhaft lachen und widersprechen kann und bei dem trotz der Fülle des Materials die 650 Seiten wie im Fluge vergehen.
Michael Maar öffnet die Wunderkammer des Schreibens und verführt dazu, all die vorgestellten Autorinnen und Autoren endlich (wieder) einmal selbst zu lesen.