Das Ganze beginnt mit einer zitternden Maus. Sie blickt in den Himmel und zittert vor Aufregung. Das wäre ihr fast zum Verhängnis geworden: „Sie war so gebannt von den Sternen, dass sie den Flügelschlag der Eule nicht hörte. Im letzten Augenblick spürte sie die Gefahr und konnte sich mit einem kräftigen Sprung retten.“ Dann besitzt sie noch die Frechheit, der ach so klugen Eule zuzurufen: „Ich sehe was, was du nicht siehst!“
Ein neuer Stern am Himmel? Es dauert, bis die Eule zu überzeugen ist. Schließlich sind die Sterne am Himmel immer dieselben, und das schon immer. „Manchmal geht es nicht darum, wie klug man ist, sondern darum, dass man sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort befindet!“, erklärt die Maus. Und so nimmt die Weihnachtsgeschichte für die Tiere im Wald ihren Lauf.
Die Maus wurde feierlich. „Ein Wunder wird geschehen. Als Zeichen des Wunders wird ein neuer Stern am Himmel erscheinen, größer und leuchtender als alle anderen Sterne.“
„Was soll das für ein Wunder sein?“, wollte die Eule wissen.
„Ein Kind wird geboren werden, das ein König wird und alle Menschen aus der Falle befreit!“
Marjaleena Lembcke & Susanne Straßer: Ein neuer Stern. Edition Nilpferd, 2021
Während die Maus erzählt, wie die drei weisen Männer vorbeigeritten waren, die dem besonderen Kind ihre Ehrenbeugung, nein: Ehrerbietung erweisen wollen, und welche Hoffnung sie selbst damit verbindet („Es soll Frieden bringen. Die Eulen fressen keine Mäuse mehr und so etwas, nehme ich an“), entsteht der Plan, dass auch die Tiere das Kind willkommen heißen sollten. Aber der lässt sich nur gemeinsam verwirklichen – wenn die Eule zum Pflanzenfresser wird und dem Wolf der Appetit auf die Ziege vergeht. Die Ziege findet es merkwürdig, dass dieser König in einem Stall geboren werden soll. „Naja. Meine Kinder kommen gelegentlich auch in einem Stall zur Welt, und es hat ihnen nicht geschadet.“
Maus, Eule, Ziege, Wolf, Esel, Hase, Igel, Käfer, Fuchs und viele andere schauen also eifrig in den Himmel. Als Herr Schlange via Glühwürmchenpost davon erfährt, hat Frau Schlange eine gute Idee: „Jetzt bietet sich die Möglichkeit, die alte Geschichte aus der Welt zu schaffen!“ Mitten in der Beratung darüber, welche der Tiere als Gesandte nach Betlehem gehen sollen, erzählt die Eule die Geschichte, wie das damals, „ganz am Anfang der Entstehung der Erde“, mit Adam und Eva und dem Baum und der Schlange war. Der Tierblick auf den Menschen ist klar und durchdringend.
„Aber mit der Zeit litten sie ein wenig unter Langeweile. Das ist bei Menschen leider so. Wenn sie nichts zu tun haben, langweilen sie sich und machen Dinge, die weder ihnen noch anderen gut bekommen.“
Marjaleena Lembcke & Susanne Straßer: Ein neuer Stern. Edition Nilpferd, 2021
Mit der Strafe für die Schlange tun sich die Tiere schwer: Die Schnecke findet Kriechen zur Fortbewegung völlig normal, die Ziege hat Respekt vor den Giftzähnen und der schöne Glanz nach dem Häuten weckt die Bewunderung des Wurmes. Weil ein kleiner Stall in Bethlehem nicht die Arche Noah ist, müssen die Tiere sich einigen, wer von ihnen mitgehen darf. Gar nicht so einfach, wenn jede*r meint, im Recht zu sein. Bis auf einmal der Stern am Himmel erscheint. „Alle schauten zum Himmel, und der Glanz der Sterne machte die Gemüter der Tiere friedlich und feierlich.“
Schließlich brechen Schlange, Eule und Maus auf, um das Kind willkommen zu heißen: ein Tier, das kriecht, ein Tier, das fliegt, ein Tier, das läuft. Die Schlange könnte die Reise zur Versöhnung nutzen. Die Eule ist klug und redegewandt. Die Maus ist mutig und unternehmungslustig. Aber was sollen sie mitbringen? Willkommensworte natürlich.
„Denn sie waren sich einig geworden, dass kein Geschenk wertvoller sein kann als ein paar schöne Sätze zur Begrüßung, wenn man gerade auf die Welt gekommen ist.“
Marjaleena Lembcke & Susanne Straßer: Ein neuer Stern. Edition Nilpferd, 2021
Sie üben und üben – aber als sie dann endlich in Betlehem angekommen sind, kommt ihnen vor lauter Staunen kein Wort über die Lippen. „Die Maus konnte nur piepsen, die Schlange zischte, und aus dem Schnabel der klugen Eule kamen nur die Laute: Hu-uhu, hu-uhu!“
Dem preisgekrönten Duo, der aus Finnland gebürtigen Kinderbuchautorin Marjaleena Lembcke und der Münchner Illustration Susanne Straßer, ist mit dieser ganz besonderen Variante der Weihnachtsgeschichte ein zauberhafter Perspektivenwechsel gelungen, der vor allem eines deutlich macht: Weihnachten ist für alle da. Geschichten sind es, die die Welt zusammenhalten. Und wenn die Tiere miteinander reden, findet sich immer eine Lösung. Es lohnt sich also, jedes Jahr aufs Neue, auf Weihnachten zu warten, denn: „Ein Wunder wird geschehen.“
Auch Ein neuer Stern ist so ein Wunder. Die Edition Nilpferd hat mit der Neuausgabe des 2008 mit dem Österreichischen Kinderbuchpreis (Kollektion) ausgezeichneten Bilderbuches zum Wunderwirken beigetragen. Frohe Weihnachten!
Marjaleena Lembcke & Susanne Straßer
Ein neuer Stern
48 Seiten
Edition Nilpferd, 2021
ISBN 978-3-7074-5261-7