Alle Welt zu Tisch – das ist Titel und Programm zugleich. Wie wäre es, wirklich einmal bei aller Welt zu Tisch zu sein? Wie wäre es, wirklich einmal alle Welt zu Tisch zu haben? Nahrung für die Phantasie, um sich solch Phantastisches vorstellen zu können, bietet das neue Bilderbuch, nein: das neue Kunstwerk des polnischen Grafikerpaares Aleksandra und Daniel Mizielińscy.
Mit Alle Welt haben sie uns die gute alte Landkarte von einer völlig neuen Seite kennenlernen lassen. „Wie herrlich lässt sich so die Welt bereisen … Mir sind die Augen übergegangen“, hat uns Roger Willemsen als seinen Eindruck hinterlassen. Mit Auf nach Yellowstone! konnten wir die Perspektive wechseln und mit Wisent Kuba und Eichhörnchen Ula Nationalparks rund um den Globus auf der Suche nach „unberührter Natur“ besuchen.
Und jetzt ein Kochbuch? Und was für eins! Gemeinsam mit Natalia Baranowska haben Aleksandra und Daniel Mizielińscy nicht nur Rezepte aus 26 Ländern auf fünf Kontinenten gesammelt, ausprobiert und in Bild-Rezepte umgesetzt. Das Buch zeigt bei dieser Erdumrundung einen Ausschnitt aus der „Geschichte des Essens“, denn „selbst wenn dieses Buch 1.000 Seiten hätte, würde immer noch nicht die ganze Geschichte des Essens hineinpassen“.
Der Mensch ist, was er isst, lautet eine alte Redensart. Essgewohnheiten verraten also viel über uns. Und so erfahren wir nicht nur, was Menschen in aller Welt gerne essen, sondern auch die damit verbundenen Traditionen und Geschichten. Wir lernen auch, wie sich die Vielfalt der Menschen in der Vielfalt ihrer Essgewohnten widerspiegelt: denn im Zentrum steht ihr Umgang mit Nahrungsmitteln. Nahrungsmitteln, die der Planet Erde ganz unterschiedlich verteilt den Menschen zur Verfügung stellt.
„Unser Buch lädt dazu ein, Nahrungsmitteln aus vieler Herren Länder durch Raum und Zeit zu folgen – von den frühesten Weizenfeldern bis zur Astronautennahrung.“
Machen wir also einen Ausflug nach … Russland. Dafür konsultieren wir die Gebrauchsanweisung für das großformatige, detailgewaltige Bilderbuch im Vorsatz und entnehmen den dort dargestellten zwei Welthälften die Seitenzahl 70 an entsprechendem, aufgrund seiner Größe nicht zu übersehendem Fleck. „Kaviar, Knollen und Sakuski“, lautet die vielversprechende Überschrift. Sie steht über einem Panoramabild, welches das obere Drittel der ausladenden Doppelseite einnimmt. Es zeigt im Hintergrund mächtige Palastanlagen und Kremlkirchen – und davor, vor der Kremlmauer, einen Acker, auf dem altertümlich anmutende Menschen die sprichwörtlichen Kraut und Rüben anbauen. Sie erinnern an Figuren aus russischen Zaubermärchen.
Erzählt wird die Geschichte des Masleniza-Festes, von seinem heidnischen Ursprung als Frühlingsfest zum orthodoxen Brauch, mit dem die Fastenzeit eingeläutet wird. Im Zentrum stehen Bliny, Buchweizenfladen, die an kleine Sonnen erinnern, und süß oder pikant belegt werden können, am besten aber mit Kaviar schmecken. Die Palette an Möglichkeiten für Sakuski, „Häppchen als Vorspeise oder zur Stärkung bei langen Konferenzen“, wird lustvoll vor unseren Augen ausgebreitet.
Manche der dargestellten Köstlichkeiten ist mit einer Nummer versehen, die uns ein Rätsel aufgibt, das nicht so leicht zu lösen ist, aber auf jeden Fall dazu führt, die gehaltvolle Doppelseite genau zu studieren. Dem Bliny-Rezept folgt auf der nächsten Doppelseite das passende Getränk, Kwas. Und das Bild eines Festmahls im alten Russland (also jenem vor mehr als 1000 Jahren) – das aber jenen unter uns, die das Glück hatten, schon einmal mit russischen Freunden zu feiern, wohlbekannt ist: Hier biegt sich der Tisch unter der Fülle der Speisen.
Wir könnten jetzt, nach diesem Vorgeschmack, noch zum Beispiel Suppe mit Erdnüssen in Nigeria oder Chocotorta in Argentinien kosten und dabei den Geheimnissen von Mate und Kolanüssen auf die Spur kommen. Egal, wo man das Buch aufschlägt: Man taucht ein in Geschmackswunder, Fleischeslust und wildeste Früchte. Bei der Orientierung helfen neben der genannten Weltkarte ein Inhaltsverzeichnis der Rezepte vorne und ein Rezeptregister am Ende. Sensationell ist das chronologische Inhaltsverzeichnis: Auf zwei Doppelseiten ist hier die Menschheitsgeschichte als Ernährungsgeschichte dargestellt, durch das Holozän ins Anthropozän. Unseren kulinarischen Spuren zu folgen macht deutlich, wie sehr wir mit unserer Lust am Essen die Welt verändert haben.
Also, wie wäre es, wirklich einmal bei aller Welt zu Tisch zu sein? Wie wäre es, wirklich einmal alle Welt zu Tisch zu haben? Aleksandra und Daniel Mizielińscy haben mit ihrem grandiosen Bilderbuch eine klare Antwort gegeben: „Nehmt es als Appetithappen und begebt euch selbst auf die Suche nach mehr!“
Aleksandra Mizielińska, Daniel Mizieliński, Natalia Baranowska
Alle Welt zu Tisch: Das große Buch vom Essen, Kochen & Schmecken
Sachbilderbuch für alle Menschen ab 8 Jahren
Aus dem Polnischen von Thomas Weiler
128 Seiten
ISBN 978-3-89565-420-6
Frankfurt/Main: Moritz Verlag, 2021
Alle Abbildungen: © Aleksandra und Daniel Mizielińscy