Das Internet. Unendliche Weiten. Wissen für alle. Ein vernetztes Universum, in dem jede Meinung ihr Plätzchen findet. Nie war es so einfach, eigene Ansichten einer großen Anzahl von Menschen zugänglich zu machen. Die technischen Hürden sind überschaubar. Ein Tweet ist rasch in die Welt gesetzt, wie wir alle spätestens seit der inflationären Verwendung der Plattform durch einen ehemaligen Staatspräsidenten wissen. Auch Postings auf Facebook und Fotobeiträge auf Instagram sind schnell erstellt. Und schon dürfen die geneigten Leser*innen nach Herzenslust liken, retweeten, teilen und kommentieren.
So tragen die sogenannten sozialen Medien, die dazu erschaffen wurden um Kommunikation im Internet zu erleichtern, sich zu vernetzen und auszutauschen, dazu bei, mitunter auch verquere oder radikale Ansichten zu transportieren. Der nächste Beitrag von Chemtrail-Verschwörungstheoretikern ist ebenso wie jener radikaler Impfgegner und Leugner des Klimawandels nur wenige Mausklicks entfernt. Und wie nebenbei hat sich der digitale Raum zu einem öffentlichen Marktplatz, einem Speakers‘ Corner für Hassreden, Fake News und verzerrte Wirklichkeit entwickelt.
Und natürlich nutzen auch politische Gruppierungen die Möglichkeiten, die soziale Medien bieten, weidlich aus. Mit mehr oder weniger Geschick und Professionalität werden Theorien und Parolen in die entsprechenden Kanäle eingeschleust und entwickeln in Windeseile ein Eigenleben.
Der Konfliktforscher Maik Fielitz und der Sozialwissenschaftler Holger Marcks gehen in ihrem Buch ‚Digitaler Faschismus‘ der Frage nach, wie rechtsextremistische Parteien und Bewegungen die sozialen Medien als Drehscheibe und Motor zur Verbreitung ihrer Thesen nutzen.
Am Beginn steht die Definition von Rechtsextremismus. Schon das stellt sich als nicht einfach heraus. Die beiden Autoren verstehen darunter Einstellungen, die andere Personengruppen konsequent abwerten, weil diese nicht in die Vorstellung von einer homogenen Nation passen. Von dieser Definition ausgehend nähert sich das Buch dem Faschismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und wie Online-Radikalisierung in der Praxis erfolgt.
Im digitalen Zeitalter ist ein erfolgreicher Rechtsextremist folglich vor allem ein guter Geschichtenerzähler.
Das Buch ist klug aufgebaut, führt von grundsätzlichen Erläuterungen zu speziellen Techniken, wie AfD, Pegida oder Identitäre Bewegung die Möglichkeiten des Internets nutzen. Fielitz und Marcks unterlegen die Methoden, die dabei zum Einsatz kommen wie z.B. ‚Gaslighting‘ (eine Form der Manipulation, bei der gezielt Misstrauen gegenüber Instanzen der Gesellschaft gestreut wird – Stichwort ‚Lügenpresse‘) mit anschaulichen Beispielen.
Die Mechanismen sind spannend beschrieben und so wundert es nach der Lektüre nicht mehr, dass etwa Maßnahmen gegen Flüchtlinge als ‚Notwehr‘ interpretiert werden, als Widerstand der Retter der Gesellschaft. Ängste werden geschürt, Wutbürgern eine Plattform geboten, Mythen von Bedrohung und Umvolkung suggeriert. Eine demokratiepolitisch explosive Mischung, die stetig vor sich hinköchelt und immer neu geschürt wird.
Einen Ausweg aus der Misere sehen Fielitz und Marcks in einer Regulierung der sozialen Medien, einer Art verpflichtender vorgelagerter Inhaltsprüfung, ehe Tweets oder Facebook-Beiträge überhaupt online gehen können. Das scheint eine doch recht utopische Forderung. Überlegenswert wäre sie jedoch allemal.
Eine wichtige, stimmige Analyse, die einen spannenden Beitrag zum Thema ‚Rechtsextremismus im digitalen Zeitalter‘ liefert.